
Wer ist wer – und wer bin ich?
Per Video sprechen wir mit Taras S., einem Pastor der Baptistengemeinde in Lviv (Lemberg), die vor dem Krieg 560 Mitglieder hatte. Noch sind etwa 400 dort. Sie haben schon 3000 Flüchtenden Unterkunft gewährt und helfen täglich, wo die Not am größten ist.
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Auf unsere Frage, was er gerade am schlimmsten findet und ob es auch gute Dinge gäbe, gibt er bemerkenswerte Antworten:
Gut empfindet er, dass man erkennt: „Wer ist wer“. Da gibt es Menschen, die man jahrelang als gute Christen in der Gemeinde kannte und die dann als erste weggehen und nur an sich denken. Auf der anderen Seite sind die, von denen man es nicht erwartet hätte, die auf einmal für andere da sind und selbstlos helfen, anstatt nur sich in Sicherheit zu bringen.
Persönlich wertvoll ist ihm, seinen eigenen geistlichen Stand zu erkennen: „Wer bin ich?“ Er habe gerade wirklich Schwierigkeiten damit, über Feindesliebe zu predigen. Dabei führt er keine Entschuldigungen an, wie die schrecklichen Dinge, die die russische Armee gerade an seinem Volk verübt. Ja – er weiß von schwangeren Frauen und Kindern, die grausam getötet werden, er weiß, wie Wohnblocks, Krankenhäuser und Gemeinden zerbombt werden. Aber daran liegt es nicht. Nein – sein „Problem“ ist er selbst. Ihn betrübt seine Unfähigkeit, die Menschen, die das tun, dennoch zu lieben, wie Jesus sich das von seinen Nachfolgern wünscht. Er nennt es einen „Moment der Heiligung“ so über den Zustand seines eigenen Herzens zu erschrecken.
Und was findet er besonders schlimm? Gemeinden aus Polen helfen massiv, die aus Weißrussland fragen nach, wie es ihnen geht, beten für sie und zeigen ihre Verbundenheit. Gemeinden aus Russland, zu denen sie zum Teil Jahrzehnte lang Missionare entsandt hatten, schweigen hingegen. Ja, einige glauben der russischen Staatspropaganda mehr, als den Geschwistern aus der Ukraine. Von Geschwistern so im Stich gelassen zu werden, verletzt sehr.
Das verstehen wir, auch wenn wir die Tiefe des Schmerzes darüber kaum ermessen können. Umso mehr stellt sich uns die Frage, wo wir stehen. Lassen wir die Geschwister im Stich oder leiden wir mit, wie das Bild des Leibes Jesu es nahe legt „Leidet ein Glied, so leiden alle mit …“ (1. Kor. 12,26)? Es mag vielleicht nicht viel sein, aber was wir tun können, das sollten wir auch tun:
- Beten wir für die Ukraine, für ein baldiges Ende des Krieges ohne weitere Eskalation der Gewalt. Beten wir für die dortigen Geschwister – und auch für die russischen Soldaten, von denen vermutlich kaum jemand selbst den Krieg will, den er führen muss.
- Nehmen wir geflüchtete Menschen aus der Ukraine in unseren Gemeinden und auch privat zu Hause auf.
- Lasst uns Geld geben, möglichst direkt in die Ukraine. Noch können die Geschwister dort etwas dafür kaufen – vor allem, um die Not derer zu lindern, die bereits alles verloren haben.